|
Altkirchlich kann ganz
schön modern sein
Und nicht nur das: Die Alt-Katholiken wissen sich dabei in guter
altkirchlicher Tradition – daher auch ihr 1872 selbst gewählter Name,
der Treue signalisiert und gleichzeitig zum Ausdruck bringt, dass die
Kirche anfangs ein offeneres und weniger zentralisiertes System war. In
den alt-katholischen Kirchen – in Europa gibt es sechs davon, deren
Bischöfe in der Utrechter Union zusammengeschlossen sind – ist davon
vieles noch lebendig. So werden die Bischöfe und Pfarrer vom
Kirchenvolk gewählt und sind damit echte Repräsentanten ihrer Kirchen,
über deren Weg Synoden und nicht die Bischöfe allein entscheiden. Der
Papst ist Bischof von Rom, ansonsten hat er den Alt-Katholiken nichts
zu sagen. Allerdings anerkennen die alt-katholischen Kirchen den
„historischen Primat“ des römischen Bischofs. Der wurde ihm im dritten
Jahrhundert von einem ökumenischen Konzil zugesprochen (ökumenisch war
damals der Begriff für die weltweite Kirche), weil Rom ja auch
politisch eine Vorrangstellung einnahm. Juristisch hatte dieser
Ehrenprimat jedoch keinerlei Bedeutung; die von ihren Bischöfen
geleiteten Ortskirchen blieben selbständig. Ähnlich verhält sich das
heute auch in der Orthodoxie und in der anglikanischen
Kirchengemeinschaft: Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel und
der Erzbischof von Canterbury haben einen Ehrenprimat inne.
Reformen, die erst ohne Papst
möglich wurden
Aufgrund ihrer altkirchlichen Verfassung konnten die alt-katholischen
Kirchen jedoch schon im 19. Jahrhundert lang gehegte Reformen
durchführen, die zuvor – und für die römische Kirche gilt das bis heute
– von der päpstlichen Autorität verhindert wurden. 1878 wurde
beispielsweise die Zölibatspflicht der Geistlichen einschließlich des
Bischofs abgeschafft. 1885 gab es eine umfassende Liturgiereform, die
von der römischen Kirche erst knapp hundert Jahre später realisiert
wurde, wobei sie sich, wie man an der Wiederzulassung des
tridentinischen Ritus sehen kann, damit offensichtlich immer noch
schwer tut. 1988 wurde in Deutschland die erste Frau zur Diakonin
geweiht, 1996 – wieder in Deutschland – die ersten Frauen zu
Priesterinnen. Grundsätzlich steht auch das Bischofsamt Frauen offen.
Allerdings haben nicht alle, aber doch die meisten alt-katholischen
Kirchen der Utrechter Union die Frauenordination eingeführt. Darin
zeigt sich jedoch auch ein altkirchliches Prinzip, dass nämlich jede
Ortskirche selbständig ist und selbständig auch über ihren eigenen Weg
entscheidet. Nur im Glaubensbekenntnis und in ihrer Katholizität, die
sich in der Amts- und Sakramentsauffassung zeigt, stehen die Kirchen
auf demselben apostolischen Fundament.
Ökumene ist notwendig und
selbstverständlich
Das Ortskirchenprinzip beeinflusst auch das ökumenische Engagement der
alt-katholischen Kirchen: Jede Kirche sucht unabhängig der
konfessionellen Eigenheiten die Gemeinschaft mit anderen Kirchen, so
wie es in den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte gang und gäbe
war. Dabei gibt es, je nach theologischen Gegebenheiten, Nähen und
Distanzen. Mit den anglikanischen Kirchen stehen die Alt-Katholiken
deshalb in voller Kirchen- und Sakraments-gemeinschaft, mit den
evangelischen Kirchen verbindet sie „nur“ eine gegenseitig
ausgesprochene eucharistische Gastbereitschaft. Doch für die Praxis
besagt das nicht viel. Praktisch gibt es zwischen alt-katholischen und
evangelischen Kirchen langjährige und tiefe Freundschaften, während
einzelne anglikanische Kirchen eher ihre Distanz betonen. Schuld daran
ist in den meisten Fällen die Frauenordination, mit der sich auch die
orthodoxen Kirchen schwer tun. Aber auch die viel beschworene
alt-katholische Toleranz, die sich unter anderem im respektvollen
Umgang mit homosexuellen Menschen zeigt, trägt mit zu solchen
Differenzen bei.
Eine katholische Alternative
Toleranz ist den alt-katholischen Kirchen deshalb wichtig, weil sie
letztlich aus dem intoleranten Verhalten römisch-katholischer
Kirchenbehörden hervorgegangen sind. Exkommunikation als
disziplinarische Methode gibt es deshalb nicht, ebenso wenig, wie in
alt-katholischen Kirchen von oben herab gemaßregelt wird. Auf allen
Ebenen existieren unabhängige Schiedsstellen, die dann auf den Plan
treten, wenn eine Gemeinde oder ein einzelnes Kirchenmitglied sich zu
Unrecht behandelt fühlt. „Geschwisterlichkeit“ ist der Maßstab des
Umgangs sowohl in den Gemeinden als auch zwischen den kirchenleitenden
Ebenen. Der Geschwisterlichkeit wegen und natürlich auch wegen
erlittener Verletzungen zieht es viele unzufriedene römische Katholiken
in alt-katholische Gemeinden. Sie loben dort vor allem die familiären
Strukturen, die es deshalb gibt, weil die Alt-Katholiken eine
zahlenmäßig kleine Kirche bilden: In Deutschland sind es gerade einmal
15.000 Mitglieder, die sich auf rund siebzig mehr oder weniger große
Gemeinden verteilen. Eine Großkirche möchten sie nicht sein, auch wenn
sie immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass sie wegen ihrer
Kleinheit nicht so wahrgenommen werden, wie dies manchmal wünschenswert
wäre. Die kleine Herde, der Jesus im Evangelium Trost zuspricht, würden
die Alt-Katholiken heute wahrscheinlich mit dem Slogan beschreiben:
„Klein, aber fein.“
Stand:23.09.2011
|
|