Gemeinde Stuttgart · Archiv: Texte und Bilder - Predigt 10.07.05
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Stundengebet
im Alltag

{Predigt zum Silbernen Priesterjubiläum von Pfr. Joachim Pfützner}
von Pfr. Dr. Wolfgang Raible, Stuttgart
gehalten am 10.07.05 beim Festgottesdienst zum Katharinenfest

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Mt 13,1-9 DAS SPANNENDE BUCH AUF DEM NACHTTISCH

Es ist gefährlich, sich ein spannendes Buch auf den Nachttisch zu legen: Ich nehme mir vor, noch ein paar Seiten zu lesen, und dann endlich einmal früher als sonst das Licht auszuschalten. Aber das gelingt plötzlich nicht mehr. Der Krimi, in dem es um Leben und Tod geht, fesselt mich so, dass ich unbedingt die Lösung wissen muss - oder die Figuren eines Romans geraten in so verzwickte Situationen, dass ich gar nicht einschlafen kann, bevor nicht klar ist, wie sie da wieder herauskommen.

Genauso - stelle ich mir vor - ist es den Menschen mit den Geschichten Jesu ge-gangen. Er konnte so packend reden, dass viele ihm nachgezogen sind und ihn immer wieder hören wollten. Er konnte die Leute fesseln, weil er keine fertige Lehre, keine Merksätze verkündet, sondern spannende Geschichten erzählt hat; Gleichnisse, die die Phantasie angeregt und zum Denken gegeben haben; Bildworte, die zum Ausmalen gereizt haben.

Das war damals. Heute sagen viele: Es gibt kaum ein Evangelium, das mich noch überraschen könnte. Wenn man die Geschichten Jesu schon beinahe auswendig kennt, dann verlieren sie ihre Spannung. Ich möchte die Gegenbehauptung aufstellen: Wir kennen die Geschichten Jesu noch viel zu wenig. Deshalb ist uns das Spannende in ihnen oft noch gar nicht aufgegangen. Wenn wir jetzt das Evangelium hören, werden wir beim ersten Wort schon wissen, wie die Geschichte weitergeht. Spannend könnte es aber werden, wenn wir plötzlich entdecken: Das ist ja meine Geschichte ...

"Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil der Körner auf den Weg, und die Vögel kamen und fraßen sie. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen, und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach. Wer Ohren hat, der höre!"

Halleluja-Ruf

"Wer Ohren hat, der höre!" - Jesus könnte auch sagen: Jetzt seid Ihr am Zug. Jetzt ist es Eure Geschichte. Jetzt könnt Ihr etwas mit ihr machen - oder besser gesagt: jetzt kann sie etwas mit Euch machen. "Wer Ohren hat, der höre!" - Jesus könnte auch sagen: Spielt diese Geschichte durch! Probiert verschiedene Deutungen aus! Lasst euch Variationen einfallen! Bringt euer eigenes Leben ins Spiel!

Lieber Joachim, liebe Festgemeinde,

wie gefällt Dir, wie gefällt Ihnen diese Variation:

"Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen - Jesus von Nazareth. Und er säte Worte in mein Lebens-Feld: Worte, die mir Hoffnung und Trost geben wollten; Worte, die mich zum Umdenken provozieren sollten; Worte, die meinem Leben ein Ziel setzen konnten. Als er säte, fiel einiges auf meine Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit. Anderes traf auf meine Müdigkeit und Kraftlosigkeit, auf meine Hilflosigkeit und Überforderung. Manches prallte ab an meiner Sturheit, an der Mauer von Vorurteilen, die ich zu meinem Schutz errichtet hatte. Einiges aber fiel durch meine Ängste und Gewohnheiten hindurch tief in mich hinein, auf guten Boden, jenseits meiner Dornen und Steine. Und es keimte, meldete sich zum Leben und ging auf als Unruhe und Frage, als Bereitschaft, umzukehren, als neuer Versuch, der Botschaft Jesu auf der Spur zu bleiben, als Dankbarkeit für meine Lebensgeschichte, als Glaube, von Gott auf allen Wegen und Umwegen getragen zu sein."

So kann die Geschichte Jesu zu einer Hoffnungsgeschichte für mich werden:
- Das Wenige, was durchkommt, bringt hundertfältige Frucht.
- Der eine Satz Jesu, von dem ich mich treffen lasse, kann mich verändern, mich zur Entfaltung bringen.

So kann die Geschichte Jesu zu einer Trostgeschichte für mich werden:
- Es wird immer wunde Punkte, Unfertiges, Verkrustungen in meinem Leben geben.
- Es muss nicht jedes Evangelium, nicht jede Predigt bei mir ankommen.
- Aber die Sätze der Botschaft Jesu, die mich ansprechen, die mich packen, die will ich in mir reifen lassen.

So ist, lieber Joachim, die Jesus-Geschichte vielleicht auch zu Deiner Geschichte geworden: Von einigen Worten Jesu hast Du Dich treffen lassen. An ihnen hast Du Deinen Dienst ausgerichtet. Sie haben Dich in Bewegung gehalten. Auch Worte, die Jesus durch andere Menschen in Dein Leben gesät hat, haben Dich bewegt - z.B. der Satz von Charles de Foucauld, den Du Dir vor 25 Jahren als Primizspruch gewählt hast: "Ich will tun, was ich kann, und Gott wird tun, was er will. Beten Sie für mich, dass ich so lebe, dass Gott sich meiner bedienen kann, um ein wenig Gutes zu wirken." Das ist bis heute Dein Leitsatz geblieben.

Wer sich so mit der Sämanngeschichte anfreundet, der beginnt vielleicht wieder neu, nach seinem Stichwort unter den vielen Worten Jesu zu suchen - und dann auch danach zu leben: "Lebe das, was du vom Evangelium begriffen hast - und wenn es auch noch so wenig ist, aber lebe es!" So heißt ein guter Rat von Roger Schutz, dem Gründer der Brüdergemeinschaft von Taizé.

Ich möchte Dir und Ihnen noch eine zweite Variation anbieten:

"Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen - ich selbst. Voller Pläne, voller Hoffnung ging ich aus, Menschen zu begeistern, sie zu gewinnen für ein Leben im Geist Jesu: Meinen Ehepartner nahm ich mit zum Gottesdienst, meine Kinder versuchte ich religiös zu erziehen, in meine Umgebung, in das ganze Um-Feld meines Lebens hinein wollte ich den Samen des Glaubens säen. Als ich säte, fiel einiges auf harten Boden, auf Abwehr und Verbitterung. Anderes traf auf Misstrauen und Unverständnis. Manches konnte alte Verletzungen und Enttäuschungen mit der Kirche nicht durchdringen. Vieles erstickte unter den Dornen der Geschäftigkeit und Hektik unserer Zeit. Einiges aber fiel in die Angst und in die Resignation meiner Mitmenschen, in ihre Hoffnung auf Geborgenheit und Zuwendung. Und es trug Frucht, es ging auf als Gespür für wiedergeschenkte Lebenskraft, als Befreiung und Offenheit, als das Entdecken einer neuen Perspektive."

So kann die Geschichte Jesu zu einer Hoffnungsgeschichte für mich werden:
- Das Wenige, was ich ausrichte für den Glauben, das zählt.
- Das eine erlösende Wort, das mir gelingt und das den anderen aufrichtet, das lässt die vielen vergeblichen Versuche vergessen.

So kann die Geschichte Jesu zu einer Trostgeschichte für mich werden:
- Viele meiner Bemühungen, den Glauben weiterzugeben, werden scheitern.
- Enttäuschungen, dass so wenig ankommt, dass so wenig aufgeht in meinem Um-Feld, bleiben mir nicht erspart.
- Aber manches ist den anderen, ohne dass ich es vielleicht gemerkt habe, unter die Haut gegangen und wirkt weiter.

Vielleicht ist auch so, lieber Joachim, die Jesus-Geschichte zu Deiner Geschichte geworden: Viel hast Du in den vergangenen 25 Jahren ausgesät an Ideen und Impulsen, damit Gemeinde im Glauben wachsen konnte; damit viele in ihr Heimat und Geborgenheit und sich selbst finden konnten; damit Gemeinde aber auch etwas ausstrahlen konnte und hineinwirken in die Gesellschaft. Manches ist untergegangen, manches wurde angenommen, manches wirkt weiter, ohne dass Du es bemerkst. Für den Dienst, den Du gern und mit viel Freude und Engagement in verschiedenen Feldern der Seelsorge getan hast, darfst Du dankbar sein - und für all das, was in dieser Zeit gewachsen und aufgeblüht ist: bei einzelnen, in Gruppen und in den Gemeinden, in denen Du gewirkt hast.

Wer sich mit dieser Version der Sämanngeschichte anfreundet, der wird vielleicht etwas geduldiger und traut Gott zu, dass er auch dort etwas wachsen lässt, wo wir noch gar nichts entdecken.

Es ist - wie gesagt - gefährlich, sich ein spannendes Buch auf den Nachttisch zu legen. Wenn wir es mit dem spannenden Buch der Geschichten Jesu versuchen, wird das nicht anders sein: Unsere Phantasie wird angeregt. Wir werden die Worte und Beispiele Jesu immer wieder neu durchspielen, und wir werden bald merken: Es geht nicht nur im Krimi, sondern auch hier um Leben und Tod; um den Tod, der auch Erstarrung, Kälte oder Hartherzigkeit heißen kann - und um das Leben, das fruchtbares Leben sein will: Leben, das sich immer mehr entfaltet, Leben, von dem andere etwas haben.

Es ist gefährlich, sich ein solches Buch auf den Nachttisch zu legen - aber ich würde dieses Risiko eingehen.


Mt 13,1-9 THE EXCITING BOOK ON THE BEDSIDE TABLE

It is dangerous to put an exciting book on your bedside table: I plan to read a few more pages and then just for once switch out the light earlier than usual. But then the plan suddenly goes wrong. A detective novel, which is a matter of life and death, engrosses me so much that I just have to know „who dunnit“ – or the characters of a novel get into such tricky situations that I can’t sleep a wink until it is clear how they are going to get out of them.

This is how I imagine it was for people with the stories of Jesus. He could speak so enthrallingly that a lot of them followed him, wanting to hear him again and again. He could enthral people because he wasn’t peddling a ready-made doc-trine or memorable maxims, but rather telling exciting stories; parables which fired the imagination and made people think; word pictures which made people want to colour them in.

That was in those days. Today a lot of people say: There’s hardly any Good News which could surprise me. When you already know Jesus’ stories almost off by heart, then they lose their excitement.

I would like to propose the opposite: We still don’t know Jesus’ stories nearly well enough. For this reason the exciting part of them often hasn’t even struck us.

Now when we hear the Gospel, we will recognise immediately we hear the first words how the story goes on. But it could get exciting when we suddenly real-ise: Hey, that’s my story …

„A sower went forth to sow. As he sowed, some of the seed fell on the path, and the birds came and ate it. And some of it fell on stony ground, where there was little soil, and it sprang up, because the soil was not deep; but when the sun rose the seed was scorched and dried up, because it had no roots. Yet more fell among thorns, and the thorns grew up and choked the seed. But some of the seed fell on good ground and brought forth fruit, some a hundredfold, and some sixty-fold and some thirty-fold. Those who have ears to hear, let them hear!”


Halleluja

“Those who have ears to hear, let them hear!”- Jesus could also say: Now it’s your turn. Now it’s your story. Now you can do something with it – or to put it better: Now you can do something with yourselves.

“Those who have ears to hear, let them hear!”- Jesus could also say: Play this story through! Try out different interpretations! Think up variations! Bring your own life to bear on it!

Dear Joachim, dear brothers and sisters,

how do you like this variation:

A sower went out to sow - Jesus of Nazareth. And he sowed words in the field of my life: Words intended to give me hope and comfort; Words intended to make me change my ways of thinking; Words which could give my life purpose. And as he sowed, some of the words fell on my indifference and superficiality. And some fell on my tiredness and powerlessness, on my helpless and overburdened state. Some bounced off my stubbornness, off the wall of prejudices I had erected to protect myself.

But some fell through my fears and habits deep inside me on to good ground, beyond my thorns and stones. And they sprouted, sprang to life and grew as a restlessness and questioning, as a readiness to change direction, as a fresh at-tempt to keep on following Jesus’, as gratitude for the story of my life, as the belief that God bears me up in all my journeys and wanderings."

In this way Jesus’ story can become a story of hope for me:

- The little bit that gets through brings forth fruit one hundredfold.

- The one sentence from Jesus which I allow to strike me can change me and make me blossom.

In this way Jesus’ story can become a story of comfort for me:

- There will always be vulnerable places, unfinished things, scars in my life.

- Not every piece of the Good News, not every sermon has to get through to me.

- But the sentences from Jesus’ message which speak to me, which thrill me – those sentences I will allow to ripen in me.

And perhaps it was in this way, dear Joachim, that the story of Jesus became your story: You allowed yourself to be struck by a few words of Jesus. You al-lowed them to direct your service. They kept you going. And words which Jesus sowed in your life through other people also moved you – e.g. the saying of Charles de Foucauld, which you chose 25 years ago as your ordination text: “I will do what I can and God will do his will. Pray for me that God can use me in order to do a little good.” This has remained your guiding principle to this day.

Anyone who in this way gets to know and like the Parable of the Sower may begin again to look for their own text among the many words of Jesus, and then to live by it as well: "Live what you have understood about the Good News – it doesn’t matter how little it is, but live it!" This good advice comes from Roger Schutz, the founder of the brotherhood of Taize.

I’d like to offer you a second variation:

"A sower went out to sow – it was me myself.

Full of plans, full of hopes I went out to fill people with enthusiasm, to win them over to a life in the spirit of Jesus: I took my spouse with me to church, I tried to bring up my children religiously, I wanted to sow the seed of faith in my envi-ronment, in the whole field around my life.

As I sowed, some seed fell on hard ground, on resistance and bitterness. Some fell on mistrust and failure to understand. Some seed could not penetrate old wounds and disappointments with the church. Much of it was choked among the thorns of the rush and bustle of our times.

But some fell into the fear and resignation of my fellows, into their hope for se-curity and affection. And it bore fruit and sprang up as a feeling of renewed vi-tality, as a release and an opening up, as the discovery of new perspectives."

In this way Jesus’ story can become a story of hope for me:

- The little that I accomplish for our faith counts.

- The saving word I successfully say that helps the other person up also helps me to forget all my failed attempts.

In this way Jesus’ story can become a story of comfort for me:

- Many of my efforts to pass on our faith will fail.

- I will not be spared the disappointment that so little gets through, that so little springs up in the field around my life.

- But some of it has got under the other person’s skin, perhaps without my no-ticing, and continues to have its effect.

And perhaps it was in this way, dear Joachim, that the story of Jesus became

your story: You have sown a great number of ideas and stimuli in the last 25 years,

so that a community of faith could grow;

so that many people could become at home and secure in themselves;

but also so that the community could also radiate something and have an effect on society.

Some of it came to nothing, some of it was accepted, some of it goes on working without your noticing.

You may be thankful for the service which you have given willingly and with great pleasure and commitment in various fields of pastoral care – and for all that has grown and blossomed in this time: in individuals, in groups and in the congregations in which you have worked.

Anyone who in this way gets to know and like the Parable of the Sower may become a little more patient and trust God to allow something to grow even where we still can’t see anything.

As I have said, it is dangerous to put an exciting book on your bedside table. If we try it with the exciting book of the stories of Jesus it will be no different:

Our imagination is fired. We will play the words and examples of Jesus through again and again, and soon we will notice: It’s not just detective novels which are a matter of life and death – this is too; about death which we can also call rigid-ity, coldness or hard-heartedness – and about life, which wants to be a fruitful life: life which unfolds more and more, life which other people get something out of.

It is dangerous to put a book like this on your bedside table – but it is a risk that I would take.


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